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Pikachu, Sailor Moon und Co.: Rosi – Big in Japan

Die neue Kolumne für Manga-, Musik-Fans und mehr – frisch aus Japan.

Pikachu-Parade in Yohohama, Japan, 2019.
Pikachu-Parade in Yohohama, Japan, 2019. Credit: KAZUHIRO NOGI/AFP via Getty Images

Neuanfang im Land der aufgehenden Sonne

Japan – die Heimat der Animes. Unsere Kolumnistin Rosalie Cremer ist mit Serien und Filmen aus Asien groß geworden. Vor einigen Monaten hat sie sich ihren Traum erfüllt und ist nach Japan ausgewandert. In ihrer Kolumne schreibt sie über ihre Liebe zu Animes und zeigt uns die aktuellen Trends im Land der aufgehenden Sonne.

Kindheits-Erinnerungen – Made in Japan

Schon als Kind liebte ich Zeichentrick. Ich wuchs auf mit „Heidi“, „Biene Maja“ und „Wickie“. All diese Kinderserien erlebten in den letzten Jahren zwar ein TV-Comeback, in leicht – oder auch stark – veränderter Form. Ich rede hier aber von den Serien, die man noch auf Röhrenfernsehern geschaut hat. Dabei waren diese Zeichentrick-Klassiker in meiner Kindheit auch schon nicht mehr up-to-date. Die fröhliche Heidi, die kleine Biene Maja und der Wikinger-Junge Wickie kamen in den 1970er Jahren ins TV, während ich sie erst Anfang der 1990er kennenlernte. Was ich damals natürlich noch nicht wusste: Diese Serien, die mein Herz erwärmten, mich zum Staunen brachten und amüsierten, stammten aus Japan. Beziehungsweise entstanden in Zusammenarbeit mit japanischen Produktionsfirmen und waren somit meine ersten Animes (abgeleitet von dem englischen Wort Animation).

Serien, made in Japan: Heidi und Sailor Moon
Die Kindheits-Held:innen unserer Japan-Koluminstin Rosalie. Credit: imago images

Als Animes endlich in die Kinos kamen

Es war der Beginn einer Liebe, die mich jetzt schon lange begleitet. Denn es folgten weitere japanische Serien im deutschen Kinderprogramm, die ich mit eckigen Augen vor dem Fernseher sitzend in mich aufsaugte, wie ein Schwamm. Und ich war nicht die Einzige. Wer in meinem Alter kennt nicht die Geschichte des tollpatschigen Mädchens Bunny, das sich in die Kriegerin der Liebe „Sailor Moon“ verwandeln kann? Oder die Abenteuer von Son Goku, der auf der Suche nach den legendären „Dragon Balls“ viele Kämpfe bestehen muss? Und wer ging nicht regelmäßig auf „Pokémon“-Jagd vor der Flimmerkiste und wünschte sich ein eigenes Pikachu als Haustier?

Doch während meine Altersgenossen:innen während der Pubertät ihre Liebe zu den bunten, schrillen und meist auch sehr überdrehten Animes ablegten, war ich noch immer Feuer und Flamme. Schließlich folgte auch die Zeit, in der man nicht mehr nur im TV Animes sehen konnte, sondern auch auf der großen Kinoleinwand. Denn das in Japan bereits sehr bekannte Studio Ghibli landete mit „Chihiros Reise ins Zauberland“ 2001 einen weltweiten Kassenerfolg. Ausgezeichnet mit vielen Preise und vom jungen wie alten Publikum gleichermaßen geliebt, bekamen Animes plötzlich immer mehr Relevanz auf der westlichen Erdhalbkugel.

Auch wenn ich während meines Studiums und der darauffolgenden arbeitsreichen Jahre als Redakteurin nur noch wenige Zeichentrickfilme schaute, vergaß ich meine erste große Liebe nie und im Herzen war ich die ganze Zeit noch immer ein kleiner Otaku (das japanische Pendant zu Nerd oder Geek). Wie das Leben so spielt – und es mag ein ausgelutschtes Klischee sein – wohne ich nun schon seit einem halben Jahr in dem Geburtsland meiner wildesten Kindheitsträume.

„Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001)

Chihiros Reise ins Zauberland
„Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) Credit: imago images

Das ist Rosi

  • Dorfkind aus Deutschland
  • verheiratet mit einem Japaner
  • Disney-Fan
  • liebt Mangas + Comics
  • Lieblingsessen: Sushi + Pasta
Rosalie
Japan-Kolumnistin Rosalie Credit: privat

Ein Anime-Fan – endlich in Japan

Obwohl in Japan vieles, vieles, viiiieles anders ist, als ich mir in meinem deutschen Kinderzimmer vorgestellt habe, gibt es eine Sache, um die man hier einfach nicht herumkommt und die meine Augen wie damals zum Leuchten bringt: Animes. Sie sind einfach überall. Ob als Werbeunterbrechung im Fernsehen, auf Monitoren im Kaufhaus, auf Leuchtreklamen in der Stadt – überall findet man Anime-Figuren.

Animes sind in Japan so beliebt, dass es im Land mittlerweile über 500 verschiedene Animations-Studios gibt. Über 98.000 Minuten TV-Animes wurden 2020 produziert und 66 Filme wurden veröffentlicht. Streaming-Giganten wie Netflix investieren indes in eigene Produktionen (so wie zum Beispiel „Yakuza goes Hausmann“) und selbst der riesige Disney-Konzern hat vor Kurzem verkündet mit vier Projekte in den Anime-Markt einsteigen zu wollen.

Die Genres sind dabei auch vielfältig. Serien und Filme gibt es für Kleinkinder, Grundschüler:innen, Teenager:innen, junge Erwachsene, Salarymen (Bezeichnung für männliche Firmenangestellte) und Hausfrauen. Von Action, Fantasy, SciFi, über Comedy und Sport bis hin zu Romantik, Erotik und sogar Pornos (außerhalb Japans auch Hentai genannt) ist alles dabei.

Es fängt alles am Zeichenbrett an

Der Werdegang eines Animes beginnt meist allerdings nicht in einem Studio, sondern am Zeichenbrett eines Manga-Künstlers. Denn viele Animes sind Adaptionen von Mangas (japanischen Comics) und diese sind in Japan ähnlich beliebt wie das animierte Äquivalent. Ist ein Manga erfolgreich, wird häufig eine animierte Serien und/oder ein Film dazu produziert. Manchmal kommt erst durch eine solche Produktion ein noch viel größerer (finanzieller) Erfolg zustande. So sind auch Sailor Moon und Son Goku erst durch Veröffentlichungen in Manga-Magazinen populär geworden, bevor sie ihren Weg ins TV fanden.

Der Hype um „Demon Slayer“

Ein aktuelles Beispiel ist das Phänomen „Demon Slayer“. Die Manga-Reihe erschien von 2016 bis 2020 in Japan und richtete sich an ein jugendliches (meist eher männliches) Publikum. 2019 wurde die erste Anime-Staffel veröffentlicht, sowie ein Kinofilm. Seitdem gibt es einen regelrechten Hype um die Dämonenjäger. Die Marketing-Mühlen mahlen auch besonders stetig und fleißig in Japan und so findet man im Kaufhäusern nicht nur Spielzeug in sämtlichen Variationen, sondern auch im Supermarkt etliche Produkte mit den Charakteren der Serie bedruckt. Auch ich kam nicht umhin mir Schokolade, Limonade und Kekse mit den Anime-Helden drauf zu kaufen. Man kommt einfach nicht daran vorbei.

Auch akustisch wird man in Japan mit Animes konfrontiert. So war ich schon recht verwundert als ich beim Einkaufen im Supermarkt in der Gemüseabteilung plötzlich die Titelmelodie von „My Hero Academia“ (einer ebenfalls sehr erfolgreiche Manga- und Anime-Reihe) aus den Lautsprechern vernahm. Doch das ist eigentlich gar nicht überraschend, denn immer mehr Anisons (Lieder aus Animes) schaffen den Sprung in die japanischen Charts. Was früher nur in Fan-Kreisen bekannt war, wird zu Lande immer mehr zum Mainstream.

Fußgängerinnen in Japan laufen an einem
Fußgängerinnen in Japan laufen an einem „Demon Slayer“-Filmplakat vorbei. Credit: Getty Images

Museen, Pop-up-Stores und ganze Centren für Anime-Fans

Und weil Animes so populär sind, gibt es in ganz Japan verteilt auch viele kleine und große Läden, die nicht nur Fans der animierten Bilder in ihren Bann ziehen. In Tokio kann man in mehreren sogenannten „Pokémon-Centern“ nicht nur Produkte zur beliebten Serie und dem Videospiel kaufen, sondern auch in dazugehörigen „Pokémon-Cafés“ Essen und Trinken. Teller, Tassen und sogar das Essen selbst erinnert dabei an die Pocket-Monster, Pokémon ist die Abkürzung. Als Anfang 2021 ein neuer „Sailor Moon“-Film in die Kinos kam, ploppten in mehreren Großstädten „Sailor Moon“-Pop-up-Café auf, in denen man quietschtbunte Kuchen essen und Fanartikel kaufen konnte. Seit 20 Jahren gibt es in Mitaka, einer Stadt innerhalb der Präfektur Tokio, das „Ghibli Museum“ mit einem Theater, einer Buchhandlung, einem Garten und realen Nachbildungen aus den Filmen. Aber auch in vielen anderen Städten gibt es „Ghibli Stores“, inklusive einer lebensgroßen Totoro-Statur und einer Nachbildung der legendären Bushaltestelle aus dem Film „Mein Nachbar Totoro“. Und auch die Action-Serie „Attack on Titan“ hat erst vor einigen Monaten ein Themenmuseum in der Heimatstadt des Schöpfers erhalten. Wessen Fan-Herz da mal nicht höher schlägt? Meins auf jeden Fall!

Anime aus Japan: Eine Figur aus
Anime aus Japan: Eine riesige Figur aus „Mein Nachbar Totoro“ in Japan – und der „Studio Ghibli“-Gründer Hayao Miyazaki Credit: Getty Images

Der Irrglaube, dass jeder Japaner Anime liebt

Doch wer nach alldem nun denkt, jeder Japaner ist automatisch ein Anime-Liebhaber, der irrt sich. Mein japanischer Ehemann hat seit seiner Jugend keine Zeichentrickserien mehr geschaut – es sei denn, er wurde von mir dazu genötigt. Auch meine Schwiegermutter schaut nur noch, wenn der Enkel zu Besuch kommt und die über 90-jährige Großmutter hat vermutlich noch nie etwas von „Sailor Kriegerinnen“ und „Dragon Balls“ gehört.

Also nicht viel anders als in good old Germany, doch mein kleines Otaku-Herz schlägt hier deutlich schneller und ich bin gespannt darauf, was mich in Zukunft noch alles in der Heimat der Animes erwarten wird.

Sayonara aus Japan, eure Rosi

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